Es sind bereits
2162
Stellungnahmen eingegangen. Bei einigen haben uns die Autor:innen erlaubt, sie hier zu veröffentlichen:
Name Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft
Alfred Mayer Die Staatsanwaltschaft als die klassische objektivste Behörde muß sich wieder an den § 34 StGb (Rechtfertigender Notstand - zu meiner Zeit als heute 86jährige "Übergesetzlicher Notstand") erinnern. Da wäre endlich mal ein Anwendungsfall, damit Ihr Euch im Studium nicht für die Katz damit abgeplagt habt !

Notstand
In manchen Situationen, in denen Gefahr im Verzug ist, können ansonsten rechtswidrige Handlungen gerechtfertigt oder entschuldbar sein. Auf welche Umstände dies zutreffen kann, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Beispiele dazu zählen können, erfahren Sie im folgenden Beitrag.
Autor
Tommy Kujus
Aktualisiert
20.03.2024

Allgemeines Strafrecht

Inhalt
1. Was ist „Notstand“?
2. Wann liegt ein „rechtfertigender Notstand“ vor?
1. Notstandslage
2. Notstandshandlung
3. Subjektives Rechtfertigungselement
4. Beispiele
3. Was ist ein „entschuldigender Notstand“?
4. Besonderheit: Nötigungsnotstand
Was ist „Notstand“?
Um einen Straftatbestand zu erfüllen, muss der Täter nicht nur den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Unter Rechtswidrigkeit wird das Handeln im Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung verstanden. Grundsätzlich wird sie durch die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestands indiziert, also angenommen. Die Schuld betrifft die Frage nach der individuellen Verwerfbarkeit.
Ausnahmsweise kann die Handlung des Täters, die einen Straftatbestand begründet, nicht bestraft werden, wenn ein Rechtsfertigungsgrund oder ein Schuldausschließungsgrund vorliegt. Dies kann neben der Notwehr entweder der „rechtfertigende Notstand“ nach § 34 Strafgesetzbuch (StGB) oder der „entschuldigende Notstand“ nach § 35 StGB sein.
Wann liegt ein „rechtfertigender Notstand“ vor?
Nach § 34 StGB ist der (rechtfertigende) Notstand die Abwehr, die erforderlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. 
Ein Notstand liegt vor, wenn sich der Täter aufgrund der Umstände gegen einen anderen wehren darf, um so den Schutz der betroffenen Rechtsgüter zu wahren. Eine Strafbarkeit des Täters entfällt dann wegen Notstand, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. 
Notstandslage
Zunächst muss eine Notstandslage, also eine Situation bestehen, in der das Notstandsrecht für den Täter gilt. Hierfür muss eine gegenwärtige Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut des Täters oder einen Dritten bestehen.
Eine Gefahr ist ein Zustand, der jederzeit in eine Rechtsgutbeeinträchtigung umschlagen kann. Hierbei sind auch Dauergefahren umfasst. Solche Gefahren können ein maroder Baum bzw. ein defektes Gerüst an einem Haus sein, welche einzustürzen drohen. Geschützte Rechtsgüter können unter anderem das Leben, der Körper und die Ehre sowie Rechtsgüter der Allgemeinheit (Umwelt, Rechtspflege, öffentlicher Frieden, etc.) sein.
Zudem muss die Gefahr gegenwärtig sein; also unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch andauern. 
Notstandshandlung
Neben der Notstandslage muss der Täter eine Handlung, also eine Gefahrabwendung vorgenommen haben. Dabei muss diese Handlung geeignet, erforderlich, interessengemäß und angemessen sein.  
Die Handlung ist geeignet, wenn sie einen drohenden Schaden abwenden oder die Gefahr verhindern kann.  
Erforderlich ist sie, wenn sie das mildeste unter allen gleich geeigneten Mitteln ist. 
Außerdem muss das Rechtsgut, welches der Täter schützt, dem Rechtsgut des anderen, welches beeinträchtigt wird, überwiegen. Eine konkrete Bewertung erfolgt im Einzelfall vor allem durch die Intensität, den Umfang und den Grad des drohenden Schadens. 
Zudem muss das Verhalten des Täters angemessen sein. Dabei muss es sich als eine sachliche Konfliktlösung herausstellen. Das scheidet beispielsweise bei einer Abwägung von Leben gegen Leben oder bei Duldungspflichten des Täters aus. 
Subjektives Rechtfertigungselement
Schließlich muss der Täter in Kenntnis der Notstandslage und -handlung mit Gefahrabwendungswillen gehandelt haben. Er muss also gehandelt haben, um die drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. 
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Beispiele
Einige Beispiele für die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes sind: 
Erschießen eines Hundes, um ein Unfallopfer ärztlich versorgen zu können 
Verlassen der Unfallstelle, um Misshandlungen zu entgehen 
Aufbrechen eines Fahrzeuges bei starker Hitze, um ein darin eingeschlossenes Baby oder Tier zu retten 
Organtransplantation, sofern die Einwilligung der Angehörigen nicht eingeholt werden kann 
der medizinisch notwendige Schwangerschaftsabbruch 
die gewaltsame Wegnahme des Autoschlüssels, um die Autofahrt eines Betrunkenen zu verhindern 
medizinisch notwendige Fixierung am Bett des Patienten, ohne richterlichen Beschluss bzw. Einwilligung

Beispiele, bei denen kein rechtfertigender Notstand angenommen worden ist, sind: 
das Fahren mit dem Auto im betrunkenen Zustand zum Krankenhaus, um einen oberflächlichen Kratzer behandeln zu lassen 
Entfernen vom Unfallort zur Wahrnehmung eines geschäftlichen Termins 
Erschießen eines kleinen Jungen, weil er Äpfel von einem Baum entwendet hat
Folter und dessen Androhung durch Amtsträger (z.B. Polizisten; „Fall Daschner“)
Abhören von Telefonaten zur Beschaffung von Beweisen für ein Scheidungsverfahren

Was ist ein „entschuldigender Notstand“?
Im Gegensatz zum rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB bleibt die Tat beim entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB weiterhin rechtswidrig. Der Täter handelt lediglich „ohne Schuld“.
Die Voraussetzungen sind ähnlich.
Wie beim rechtfertigenden Notstand muss auch beim entschuldigenden Notstand eine Notstandslage vorliegen. Die geschützten Rechtsgüter beschränken sich allerdings auf „Leben“, „Leib“ und „Freiheit“. Im Gegensatz zum rechtfertigenden Notstand ist weder der Schutz des „Eigentums“ noch der „Ehre“ mitumfasst. Auch der Kreis der Adressaten ist auf den Täter selbst sowie dessen Angehörige und ihm nahe stehende Personen beschränkt. 
Zur weiteren Beurteilung der Notstandshandlung folgt keine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter. Vielmehr ist – im Einzelfall – zu prüfen, ob dem Handelnden das Hinnehmen der Gefahr zugemutet werden kann.
Im Übrigen muss die Notstandshandlung erforderlich sein, also das mildeste unter allen gleich geeigneten Mitteln darstellen. Ebenso darf keine Pflicht zur Duldung der Gefahr bestehen (z.B. Polizei, Feuerwehr, Soldaten).
Besonderheit: Nötigungsnotstand
Eine besondere Konstellation liegt vor, wenn der Täter eine Straftat nur begeht, weil er von einem Dritten zu dieser Handlung, Duldung oder Unterlassung durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel gezwungen (genötigt) worden ist (sog. Nötigungsnotstand). Die Strafbarkeit des Täters kann dann unter den oben genannten Voraussetzungen des Notstands und dem Vorliegen einer Nötigung nach § 240 StGB durch den Dritten entfallen.  

Tommy KujusTommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.
Dr. Aljoscha Kreß hiermit möchte ich dazu Stellung nehmen, ob gegen die „Letzte Generation“ Anklage erhoben werden soll, dass sie gemäß § 129 StGB eine kriminelle Vereinigung wäre.
Es ist als Bürger und Landesbediensteter nicht von außen zu erkennen, wie man einen solchen Vorwurf rechtlich anwenden kann, außer als eine politische Entscheidung. Die LG steht in medialer Öffentlichkeit, kündigt ihre Vorgehensweisen an, hat offene Veranstaltungen in denen Presse und Öffentlichkeit teilnehmen können. Bei ihren Aktionen sind sie Gewaltfrei und entziehen sich keinen Festnahmen. Es handelt sich also in meinen Augen in kleinster Weise um eine kriminelle Organisation im Sinne des Erfinders der Rechtsvorschrift sondern ganz offensichtlich um eine gewaltfreie und friedliche Protestform. Die politischen Ziele stehen klar in Vordergrund und daher ist für jeden außenstehenden ersichtlich dass § 129 (3) anzuwenden ist : „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“; denn das Hauptziel der LG ist die Verhinderung der Klimakrise/Klimakatastrophe. Dieses Ziel kann ich als promovierter Klimafolgenforscher und Landesbediensteter (mit dem Auftrag der kommunalen Beratung zur Klimaanpassung) nur ausdrücklich nachvollziehen und unterstützen; auch da die Protestform im Ramen unserer freiheitlich demokratischen Grenzen gewählt ist.

nur für die StA sichtbar Eine Demokratie muss und kann Protest aushalten. Der Paragraph ist veraltet und schützt Meinungsfreiheit nicht.
Helene Strey Wenn ich an die Letzte Generation denke, dann sehe ich eine Viehlzahl von verschiedenen Menschen vor mir. Eine Gruppe, bunt zusammengewürfelt, ob Schüler, Studenten oder Arbeitende, ob alleine oder mit Familie, mit viel oder wenig Einkommen, mit oder ohne Beeinträchtigung, ob introvertiert oder extrovertiert.
All diese Menschen kommen zusammen, weil sie eines eint. Die Frage wie es weiter gehen soll, die Angst vor der Zukunft und das Wissen, dass wenn sich jetzt nichts ändert, wir aus diesem Kreislauf nicht mehr herauskommen.
Mehrere millionen Menschen waren legal bei Fridays for Future in Deutschland auf der Straße. Die Politik hat sie belächelt und ignoriert. Deswegen bleibt der Weg des zivilen Ungehorsams als einzig wirksames Mittel, um endlich die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen und eine Veränderung zu bewirken. Die letzte Generation bleibt dabei immer klar gewaltfrei und friedlich. Die Aktivisten setzen ihre eigene Gesundheit und quasi ihr eigenes Leben aufs Spiel, zum Wohle aller. Und das machen sie aus freiem Willen. Denn der Umgang und das Miteinander in der Gruppe ist sehr frei und offen. Jeder wird aufgenommen und geachtet, egal wie klein der Beitrag auch ist. Es wird niemandem etwas aufgedrängt und niemand wird zu irgendwas gezwungen. Man hat immer die freie Wahl. Demnach sind auch die Aufgaben sehr unterschiedlich. Ob man nun beim Kochen hilft, Vernetzungsarbeit leistet, Flyer verteilt oder wirklich auf der Straße ist.
Und genau deswegen ist die Einstufung der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung so kritisch, denn es ist eine freie, offene Gruppe, bei der sich jeder nach seinen eigenen Kräften und Kapazitäten engagieren kann. Wo zieht man also die Grenze? Ab wann ist man Teil dieser Vereinigung und ab wann ist man Kriminell? All die unterschiedlichen und tollen Menschen, die ich durch die Letzte Generation kennengelernt habe, sind nicht Teil dieser Gruppe, um aus bösem Willen Straftaten zu begehen, sondern um für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen. Sie lehnen sich gegen die Straftaten auf, die durch unsere Regierung begangen werden. Gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage.
Ich sehe in dieser Einstufung nicht nur eine Gefahr für die Aktivisten und Unterstützer der Letzten Generation, sondern für Aktivismus im allgemeinen und unsere Demokratie. Zu einer Demokratie gehört Wiederstand und Protest dazu. Sie muss dies aushalten können. Gerade wenn es dabei um ein so wichtiges Thema, wie den Erhalt unserer Lebensgrundlage geht.