Es sind bereits
2162
Stellungnahmen eingegangen.
Bei einigen haben uns die Autor:innen erlaubt, sie hier zu veröffentlichen:Name | Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft |
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Willem Schuchardt | hiermit möchte ich Sie darum bitten von der Strafverfolgung von Mitgliedern der letzten Generation als kriminelle Vereinigung auf Grundlage von § 129 StGB abzusehen. Betrachten Sie dazu folgend zunächst die allgemeinen Ausführungen von Moraro (2018) zur injunktiven Strafbarkeit von zivilem Ungehorsam. Demnach haben Bürger*innen die zivilen Ungehorsam ausüben keinen pro tanto-Grund eine Strafe zu erhalten, da der Akt des zivilen Ungehorsams als solches eine Pflicht ist, wenn indem auf ein institutionalisiertes Übel hingewiesen wird, welches nicht anders in angemessener Weise kommuniziert werden kann. Dabei besteht ein pro tanto-Prinzip sich zum Akt des zivilen Ungehorsams gegenüber der Öffentlichkeit und dem Gericht zu erklären. Das Gesetz wird auf diese Weise also respektiert, jedoch nicht unbedingt indem es befolgt wird. Im konkreten Fall der letzten Generation ist deutlich, dass ein gravierender und persistenter Verfassungsbruch des Klimaschutzgesetzes vorliegt, wie Expert*innenräte der Bundesregierung immer wieder bestätigen. Dabei ist ersichtlich, dass Teile der Regierung Anstrengungen unternehmen das Gesetz abzuschwächen indem beispielsweise Sektorziele aufgehoben werden sollen. Darüber hinaus wird beispielsweise auf supranationaler Ebene, mitunter sogar als EINZIGER EU-Staat, eine verfassungskonforme Regulierung aktiv blockiert, etwa beim Stopp der Produktion von Verbrennungsmotoren für den Individualverkehr obgleich eine skalierte Verwendung von potentiell grünen E-Fuels absehbar ausgeschlossen ist, da der weltweite Ausbau der Produktionskapazitäten bis 2035 lediglich ca. 5% von Deutschlands Gesamtbedarf decken würde. Zudem ist auch das Klimaschutzgesetz in seiner ursprünglichen Form unzureichend, um zukünftig eine zivilisatorische Lebensgrundlage zu bieten. Gegenwärtig und entgegen kommunizierter Absichtserklärungen von Regierungsseite bleiben sozialtransformative Maßnahmen wie etwa ein Klimageld ohne Berücksichtigung im aktuellen Haushaltsentwurf, sodass prekär beschäftigte Teile der Bevölkerung mit jedem Transformationsschritt verschärft armutsgefährdet sind (beispielsweise Landwirte). Anstatt ihren unmittelbaren Verantwortlichkeiten nachzukommen gibt die Bundesregierung das Geld zu großen Teilen anderweitig aus. Beispielsweise für die Subventionierung einer Chip-Fabrik des Konzerns Intel in Magdeburg. Wie das Institut für deutsche Wirtschaftsforschung unlängst feststellte ist zudem der aktuell stattfindende Ausbau von LNG-Terminals überdimensioniert (von Hirschhausen et al., 2024) und der Abbau der Braunkohle unter Lützerath im Gebiet Garzweiler nicht relevant für Deutschlands Energiebedarf (Rieve et al., 2021), sodass auch hier objektiv feststellbar in beiden Fällen gegenwärtige Partikularinteressen über die in der Verfassung verankerten Sicherung der Lebensgrundlagen gestellt werden. Zusammenfassend bewirkt das derzeitige Regierungshandeln also eine Aushöhlung der Verbindlichkeit der CO2-Emmissionsreduktion des ohnehin schon verfassungswidrigen Klimaschutzgesetzes und beschämenderweise auch eine Blockade länderübergreifender Anstrengungen auf EU-Ebene. Dabei droht das Fehlen des lippenbekannten aber bisher nicht umgesetzten Aspekts der sozialen Verträglichkeit vulnerable Gruppen zu überlasten oder Widerstände gegen Klimaschutzmaßnahmen auszulösen. Im Gegenteil tragen korrumpierende Absprachen zur weiteren Förderung fossiler Energieträger entgegen der Studienlage und evidenter Ineffizienz dazu bei Innovationspotentiale ungenutzt zu lassen. Hinzu kommt ein enormer Handlungsdruck, um das Schlimmste noch zu verhindern und die Tatsache, dass bisherige Massendemonstrationen wie etwa 2019, das Unterschreiben von Petitionen und andere legale Protestformen keine Bundesregierung dazu bewegen konnten dem Thema die angemessene Priorität einzuräumen. Somit ist anzumerken, dass die Klimakrise und das damit verbundene Missmanagement in Deutschland auf keine das Gesetz befolgende Weise angemessen aus der Zivilgesellschaft heraus an relevante öffentliche und privatwirtschaftliche Entscheidungsapparate kommuniziert werden kann. Daher scheint die Inbezugnahme von § 129 StGB redundant. In Anbetracht des Ausmaßes der Selbstsabotage seitens Bundesregierung würde das Befolgen des Gesetztes und die Nicht-Ausübung von zivilem Ungehorsam in diesem Kontext keine Achtung vor dem Gesetz ausdrücken, sondern sich ganz im Gegenteil der existentiellen Bedrohung neutral und damit dem freiheitlichen Rechtsstaat gegenüber gleichgültig verhalten. Die adäquate Bestrafung von zivilem Ungehorsam mag in einigen Szenarien über eine Erklärung hinaus, eine Entschuldigung, das ableisten von Sozialstunden oder das Zahlen einer Geldstrafe beinhalten. Etwa wenn zusätzlich zum stilisierten Akt des zivilen Ungehorsams eine vermeidbare Schädigung Dritter entsteht, eine Erklärung gegenüber dem Gericht ausbleibt oder bei Nichterscheinen vor Gericht). Jedoch kann die bloße Mitgliedschaft in der letzten Generation keine Strafbarkeit nach § 129 StGB per se darstellen, da sonst die Ernsthaftigkeit des Anliegens und die damit einhergehende demokratische Pflichterfüllung a priori und, obige Ausführungen zu Versäumnissen und Sabotage der Bundesregierung in den Blick nehmend, kontrafaktisch negiert würde. Aufbauend auf der Bedingung einer hinreichenden pro tanto-Erklärung könnte die durch den zivilen Ungehorsam geschaffene Plattform einen sich stetig wiederholenden rationalen kommunikativen Austausch in Gang bringen, welcher innerhalb und schließlich auch außerhalb des Gerichts konstruktiv zur Befriedung des ursächlichen Missstands beitragen kann. Somit würde auch ein nachhaltiges Abnehmen der Notwendigkeit zivilen Ungehorsams über den Mechanismus einer höheren prozedualen Gerechtigkeit begünstigt (Siehe Snipes et al., 2021 für ein entsprechendes Verhaltensexperiment). Wenn auch eingeschränkt gilt dies jedoch im Übrigen auch, wenn der traditionellen Prämisse nach Jon Rawls oder auch Hannah Arendt gefolgt wird welche die Sanktionierung (Geldstrafe, Sozialstunden, o.ä.) eines Akts des zivilen Ungehorsams pro tanto vorsieht. Nach Moraro (2018) klingt bei diesem Ansatz, jedoch eine objektifizierende repressive Einstellung des Staates gegenüber der Bevölkerung an welche nicht konsistent mit der Rolle des politischen Agenten ist in welcher sich Bürger*innen in diesem Moment befinden. Vermeintlich maßregelnde befriedende pro tanto-Sanktionen tragen jedoch kaum zur tatsächlichen Herstellung von Gerechtigkeit und Behebung des ursächlichen Missstands bei, obgleich sie womöglich zunächst zu einer Verminderung des „kommunikativen Austausches“ führen. Es ist jedoch fraglich ob mit zivilen Ungehorsam assoziierte Kosten dadurch tatsächlich eingespart oder womöglich nur aus dem Gerichtssaal ausgelagert und von der Gegenwart in die Zukunft verlagert werden. Zum einen besteht hier das Risiko, dass in der Folge anonyme Protestformen mit höherem Sabotagecharakter wie etwa im Extremfall der Brandanschlag auf die Tesla-Fabrik Grünheide im März 2024 gewählt werden. Diese sind womöglich mit höheren Kosten durch Ermittlungsarbeiten, Protestschäden und geringerer Effektivität in puncto Überzeugungskraft und sozialer Identifikation dritter assoziiert (siehe Feinberg et al., 2020 für ein entsprechendes Verhaltensexperiment). Im Kontrast dazu könnte durch eine sanktionsarme Verhandlung von zivilem Ungehorsam heute ein vorbildhafter Grundstein zur Festigung einer gewaltfreien Protestkultur werden. Dies scheint insbesondere relevant unter der fundierten Annahme, dass die Klimakrise zu einer Vervielfachung der Konfliktpotentiale führen, sodass friedliche Alternativen zu physischen Auseinandersetzungen wichtig werden. Beispielsweise sind Hitzewellen im vorindustriellen Vergleich bereits heute 2,8 mal häufiger und 1,2° heißer (Clarke et al., 2022). Zukünftig werden beispielsweise Hitzewellen das Potential haben Gesundheitssysteme zu überlasten und so personelle und räumliche Knappheiten erzeugen (Ebi et al, 2021). Klimakrise bedingte Konfliktpotentiale werden jedoch beispielsweise auch in Bezug auf die Verknappung von Lebensraum zunehmen (Hsiang et al., 2011). Da die letzte Generation und ihre Mitglieder also Ihre Mittel zum Schutz des Rechtsstaates einsetzt, um den skizierten gesellschaftlichen Schaden abzuwenden und nicht etwa zur Ausübung von Straftaten für einen persönlichen Gewinn oder etwa um anderen Schaden zuzufügen ist eine Kriminalisierung der letzten Generation und ihrer Mitglieder kaum hilfreich und aus den genannten Gründen demokratietheoretisch und pragmatisch verwerflich. Daher möchte ich Sie auch abschließend noch einmal um ein besonnenes Vorgehen bitten. Mit freundlichen Grüßen, Willem Schuchardt wiss. Mitarbeiter Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Fakultät für Wirtschaftswissenschaft Lehrstuhl verhaltensbasierte Sozialpolitik Quellen Clarke, B., Otto, F., Stuart-Smith, R., & Harrington, L. (2022). Extreme weather impacts of climate change: an attribution perspective. Environmental Research: Climate, 1(1), 012001. Ebi, K. L., Vanos, J., Baldwin, J. W., Bell, J. E., Hondula, D. M., Errett, N. A., ... & Berry, P. (2021). Extreme weather and climate change: population health and health system implications. Annual review of public health, 42(1), 293-315. Feinberg, M., Willer, R., & Kovacheff, C. (2020). The activist’s dilemma: Extreme protest actions reduce popular support for social movements. Journal of personality and social psychology, 119(5), 1086.Hsiang, S. M., Meng, K. C., & Cane, M. A. (2011). Civil conflicts are associated with the global climate. Nature, 476(7361), 438-441. Moraro, P. (2018). On (not) accepting the punishment for civil disobedience. The Philosophical Quarterly, 68(272), 503-520. Von Hirschhausen, C., Barner, L., Holz, F., Kemfert, C., Kunz, N., Präger, F., & Steigerwald, B. (2024). Gasversorgung in Deutschland stabil: Ausbau von LNG-Infrastruktur nicht notwendig (No. 92). DIW Berlin, German Institute for Economic Research. Rieve, C., Herpich, P., Brandes, L., Oei, P. Y., Kemfert, C., & von Hirschhausen, C. R. (2021). Kein Grad weiter-Anpassung der Tagebauplanung im rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1, 5-Grad-Grenze (No. 169). DIW Berlin: Politikberatung kompakt. Snipes, J. B., Maguire, E. R., & Tyler, D. H. (2021). The effects of procedural justice on civil disobedience: evidence from protesters in three cities. In Contemporary Issues in American Policing (pp. 32-44). Routledge. |
Sven Lukas Holme | mich beunruhigt sehr, wie die Klimabewegung in meiner Wahrnehmung derzeit entweder politisch nicht ernstgenommen oder aber durch Verfahren wie dieses kriminalisiert wird. Wenn Olaf Scholz die Klimakrise - deren Dringlichkeit inzwischen bekannt ist - nicht einmal in seiner Neujahrsrede benennt... was sendet das denn bitte für ein Signal? Wir finden uns aktuell in einer Situation, in der politische Entscheidungsträger nach wie vor der Krise nicht gerecht werden und dann gibt es mutige Menschen, die auf diesen Mangel an ehrlicher Kommunikation und Verantwortung aufmerksam machen und sie einfordern. Und die sollen jetzt angeklagt werden? Bitte vergessen Sie nicht den hohen Stellenwert, den die Meinungs- und Versammlungsfreiheit haben in unserer Demokratie. Mit diesem Verfahren sehe ich die große Gefahr, dass Menschen eingeschüchtert werden und in Zukunft Angst haben werden, von ihren Grundrechten Gebrauch zu machen. Klimaschutz ist kein Verbrechen! |
Margaret Gufler | Dieses Verfahren ist unverhältnismäßig. Friedlicher Protest dürfen wir dulden. Es wurde keine Gewalt an Menschen verübt. Der Schaden durch Staus ist minimal in Vergleich zu Staus die alltäglich in der Stadt zu erleben sind. Sollte die Anklage Erfolg haben, macht es mich, eine alte christliche Frau, zum Kriminellen Unterstützer. Das bin ich nicht! |
Mark Bludszuweit | Ich bitte Sie, in Vorbereitung der Verhandlung einen Perspektivwechsel zuzulassen. Was wird man in 100 Jahren zu diesem Prozeß sagen? Eine treffende Beschreibung gibt John Ironmonger in seinem Bestseller "Das Jahr des Dugong – Eine Geschichte für unsere Zeit". Ich bin mir ganz sicher, daß in der Zukunft diejenigen Anerkennung erfahren werden, die mit ihrem gewaltfreien Eintreten für den Schutz der Allgemeinheit große persönliche Risiken eingegangen sind. Ich bitte Sie, gehen Sie von Ihrem gesunden Menschenverstand aus und bewerten Sie, wer für die katastrophalen Folgen des Klimawandels verantwortlich sein wird. Auf jeden Fall nicht die Mitglieder der Letzten Generation vor den Kipppunkten. Bitte nutzen Sie Ihre wertvolle Zeit und Ihre Ressourcen, um die ganz konkrete Klimabedrohung von Deutschland (und der Welt) abzuwenden. |