Es sind bereits
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Stellungnahmen eingegangen. Bei einigen haben uns die Autor:innen erlaubt, sie hier zu veröffentlichen:
Name Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft
Ralf Schulz Mit Bestürzung muß ich zur Kenntnis nehmen, daß sich eine solidarische Klimagerechtigkeitsbewegung, einer Anklage nach dem Paragraphen 129 StGB ausgesetzt sieht. Sie setzt sich für unser aller Wohl ein, sowohl den tödlichen Klimawandel als auch die daraus resultierenden Artenvernichtung zu bekämpfen. Dieser Paragraph wurde geschaffen um rechtlich gegen kriminelle oder terroristische Vereinigungen vorgehen zu können. Ihre Anklage aber missbraucht diesen Paragraphen um legitimen friedlichen Protest gegen das Nichteinhalten von Klimagesetzen (zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen zum 1,5 Grad Ziel) durch unsere demokratisch gewählte Regierung zu verleumden und kriminalisieren. Und sie tun das obwohl sich uns und auch Ihnen die wissenschaftlich belegte Klimakatastrophe tagtäglich in allen Medien offenbart und beweist.
Theresa Strey Ich bin 17 Jahre alt, gehe in die Schule und mache mir jeden einzelnen Tag Sorgen um meine Zukunft. Als ich das erste mal von der letzten Generation hörte, war da ein Hoffnungsschimmer in mir, vielleicht kann sich ja doch noch etwas ändern? vielleicht ist meine Zukunft doch nicht verloren.
Ich bin do dankbar, dass es Menschen in diesem Land gibt, welche sich opfern, Hass und Schmerz auf sich nehmen um sich gegen die miserable Klimapolitik aufzulehnen. Es macht mich unglaublich traurig und wütend zu sehen wie Aktionen, welche frei von Gewalt und sogar in unserer Demokratie als legitimes Protestmittel verankert sind von der Staatsanwaltschaft kriminalisiert werden. Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass Menschen die sich für den Erhalt der Menschheit einsetzten so einen Gegenwind von Seiten der Politik erfahren müssen. Ich möchte das der Staat endlich handelt, damit einzelne Menschen bei der Letzten Generation sich nichtmehr genötigt fühlen müssen, selber zu Handeln. Ich möchte mir endlich keine Sorgen um meine Zukunft mehr machen müssen und ich möchte auch dem Staat wieder mit gutem Gewissen vertrauen können.
Gabriele Diether mit Entsetzen habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Staatsanwaltschaft Neuruppin allen Ernstes prüft, ob sie die letzte Generation nach §129 als kriminelle Vereinigung einstufen will.
Wenn der verzweifelte Protest junger Menschen, die sich um ein lebenswertes Leben bzw Überleben ihrer Spezies einsetzt, kriminalisiert wird, wäre ein weiterer Meilenstein in der Abschaffung der Demokratie gesetzt worden.
Die fortschreitende Umweltzerstörung und die damit verbundenen Konsequenzen sind mittlerweile nicht mehr nur (wie in meiner Generation) weitgehend theoretische Zukunftszenarien sondern zunehmend erlebbare Realität.
Wenn schon unbedingt jemand kriminalisiert werden soll, warum dann nicht die Konzerne, die die Umweltzerstörung vorantreiben, oder die jeweiligen Regierungen bzw. Politiker, die seit Jahrzehnten alle anderen Interessen dem Umweltschutz vorziehen und damit dazu beitragen, letzten Endes die Grundlagen menschlichen Lebens abzuschaffen.
Astrid Lindmar, M.A. Mediation ich bitte um Ihre Kenntnisnahme von drei Perspektiven auf den Sachverhalt.

1. Die sozio-emotionale Situation der Menschheit
Versetzen Sie sich bitte in diese Lage: Sie sind jung, möchten einen sinnstiftenden Platz in der Gesellschaft einnehmen, und erfahren, Stück für Stück, Nachricht für Nachricht, dass Unwetter in Form von Dürren und Überschwemmungen, Bränden und Stürmen, Vergiftungen und Luftverschmutzung, spürbarer Klimaerhitzung und Ernteausfällen alles, was uns lieb ist, bedroht und di Zukunft auf dem Spiel steht. Wie würde es Ihnen gehen? Würden Sie eher Ohnmacht oder Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, Angst oder Panik, Trauer oder Wut, Verärgerung oder Frustration, Gefühle von Ungerechtigkeit oder Verlust erleben?
Sind Sie nicht wie wir alle betroffen von einigen - oder wechselweise allen - dieser Gefühlszustände betroffen?
Sie durchleben diese Gefühls- und Gedanken-Karusselle und die Temperaturen steigen. Sie versuchen, mit dieser Welt klarzukommen und beginnen zu lesen und sich zu informieren. Sie hören und lesen von allen Wissenschaftlern:

- Es wird seit den 70iger Jahren vor der Überbeanspruchung unserer Natur und unseren Lebensgrundlagen gewarnt.
- Der Klimawandel ist real und hier und jetzt.
- Unsere Lage ist sehr ernst.
- Der Klimawandel ist menschengemacht.
- Wir können noch etwas tun.
Aber: Niemand hört den Wissenschaftlern zu. Es wird nicht ernsthaft für den Erhalt der Menschheit und ihren Grundlagen gehandelt. Es wird verdrängt; es wird geschwiegen.
Eine 11-jährige Autistin setzt sich freitags vor ihre Schule, statt am den Unterricht teilzunehmen. Sie hat ein Pappschild: «Skolsrejk för klimatet»
Das Schweigen ist gebrochen, als immer mehr Menschen erkennen, wie wahr und wie wichtig es ist, jetzt zu handeln.
Was würden Sie in dieser Lage tun?
- Würden Sie sich im Freundes und Familienkreis austauschen?
- Würden Sie mit anderen zusammen versuchen, die gebotene Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken?
- Würden Sie ihre persönlichen Ernährungs- und Konsumgewohnheiten verändern?
Oder würden Sie einfach weiter machen wie bisher?
Hand aufs Herz: Auch Sie, liebe Richter:innen und Geschworene haben gelesen, gehört und bereits Gewohnheiten verändert oder mit kleinsten Schritten damit begonnen, oder (etwa) nicht?
Und vielleicht waren Sie sogar bei einer der millionenstarken Demonstrationen der Fridays for Future dabei?
Dann kam Corona. Keine Demonstrationen mehr. Die Welt stand still. Wieder lesen, informieren, Online-Konferenzen, Home-office.
Die Luft wurde sichtbar klarer, aber in Bau und Produktion änderte sich wenig.
Es wurde zwar viel über die Pandemie gesprochen, aber über das wichtige Thema der Klimakrise wurde abermals geschwiegen.
Wie konnte das passieren? Zu den Ohnmachtsgefühlen oben gesellten sich bei einigen Gedanken von Benachteiligung, Gefühle von Überforderung, Scham und Schuldgefühle, Reaktanz (Trotz), Überdruss, Ignoranz und Verleugnung, Zukunftsverdrossenheit.
Sie möchten sich diesen Gefühlen nicht hingeben, denn das hiesse: aufgeben. Gerade als junger Mensch möchten Sie nicht aufgeben. Und Sie, als der Elterngeneration zugehörig, haben Sie das Problem in seinem Ausmass erkannt und beginnen zu handeln oder gehören zu denen, die Schweigen?
Wir alle sind die letzte Generation vor den Kippunkten, die noch etwas verändern kann. Hand aufs Herz: Bekennen sich zur Wahrheit, erkennen Sie den Wert der Proteste und der darin liegenden Verfassungstreue und schliessen sich einer der vielen Initiativen und Klimagerechtigkeits- Bewegungen an. Seien Sie mutig! Aktiv sein ist in jedem Falle nützlicher u n d gesünder für Herz und Kopf als apathisch zuzuschauen.

2. Die verteilungs-ungerechte Seite der Situation:

Wer hat seit den ersten Warnungen des Club of Rome die heile Welt des «Weiter-so» mit teuren Kampagnen erlogen? Die reichen Köpfe ohne Gewissen der Fossilindustrie. Wen wundert es, wenn diese leider erfolgreichen Täuschungsmanöver genau diesen fossilen Reichtum um jeden Preis bewahren will?
Offensichtlich ist: Auch in Deutschland geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander.
Die gleiche Beobachtung trifft auf die klaffenden Versorgungs-unterschiede von Nord und Süd zu.
Und auch diese Ungerechtigkeit wird 8mehr oder weniger) schweigend hingenommen.
Die heutigen Kriege stehen diametral zu den kulturellen und kommunikationstechnischen Errungenschaften unsere Zeit. Denn: auch hier geht es um Verteilung der knapper werdenden Güter.
Während Überreiche mit Privatflügen die sichtbar emissionsbeeinträchtige Firnis in dekadenter und ignoranter Weise weiter beschmutzen, sterben im Süden Menschen an Hunger, wie letztes Jahr am Horn von Afrika, wo die klimabedingten Ernteausfälle besonders hoch waren.
Diese Verteilungs-Ungerechtigkeiten sind nicht nur eine Lebensgefahr für die Ärmsten unserer Erde, sondern gefährden unsere Kultur und unsere Demokratie, wenn einige Überreiche mit ihrem Vermögen Lobbyieren, Entscheidungen beeinflussen und Entscheidungsgewalt unter dem Einsatz ihrer Geldmittel ungestraft ausbauen.
Ist unsere Welt gerecht? Nein, das war sie nie, könnte man sagen. Aber: Hand aufs Herz: Wollen Sie dieser Ungerechtigkeit weiter zuschauen oder zur Tat schreiten?


3. Die Rechtliche Bewertung der Sachlage:
Die Mitglieder der Letzten Generation verfolgen das gemeinsame Ziel, auf die Folgen des Klimawandels hinzuweisen und die Regierung dazu zu motivieren, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Schäden durch den Klimawandel weitmöglich abzuwenden, sie operieren offen und transparent, sie kommunizieren ihre Ziele auf ihrer Webseite.
Es stellt sich bereits die wichtige Frage, ob die Letzte Generation als eine homogene Vereinigung angesehen werden kann. Regionale Gruppen der Letzten Generation (LG) handeln von den bundesweiten Gruppen unabhängig, siehe Webseite der LG. Mit welchen Mitteln das gemeinsame Ziel verfolgt wird, entscheiden diese Regionen unabhängig voneinander, das war jüngst sichtbar in den Protesten am 16. März 2024: Hier ein Fahrradtour durch München, dort Banner in einer Flughafenhalle oder woanders das Blockieren einer Strasse.
Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung (k.V.) verlangt, die Vereinigung müsse zum Zweck haben, Straftaten zu begehen. Sollten dies nur einzelne Mitglieder verfolgen – nicht die gesamte Vereinigung an sich – ist der Tatbestand nach BGH nicht erfüllt. Der Bundesgerichtshof verlangt, dass die Organisation der Vereinigung auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein muss. Nur dann vermag die Betätigung der Vereinigung die ihre besondere Gefährlichkeit begründende Eigendynamik zu entfalten, die Grund für die durch § 129 StGB bestimmte Vorverlagerung des Strafschutzes ist (BGH NJW 2005, 80, 81).
Für die Letzte Generation in ihrer Gesamtheit ist der Tatbestand nach § 129 StGB schon deswegen nicht erfüllt, weil sie öffentlich auftritt. So dokumentiert die Letzte Generation ihre Aktivitäten für jedermann auf Internetseite und in ihrer Medienarbeit mit Pressemitteilungen, Interviews und in Talkshows. Die Mitglieder treten also nie anonym auf. Verantwortliche werden klar benannt. Sie verbergen sich nicht vor den Strafverfolgungsbehörden, sondern sind für diese persönlich erreichbar. Jedenfalls liegt hier keine die besondere Gefährlichkeit begründende Eigendynamik vor.

Weiterhin ist fraglich, ob die Begehung von Straftaten als Zweck einer Vereinigung angesehen werden kann, die auf den Klimawandel aufmerksam machen und zu verfassungsrechtlich gebotenem Handeln aufrufen will. Das Ziel, staatliche Akteure dazu anzuhalten, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten (BVerfG NJW 2021, 1723) und die natürlichen Lebensgrundlagen i.S.d. Art. 20a GG zu schützen, ist nicht strafrechtlich relevant.
Es genügt nicht, wenn Mitglieder einer Vereinigung Straftaten „ins Auge fassen“ oder sich bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann. Es muss für den Tatbestand der k.V. nach § 129 StGB ein verbindlich festgelegtes Ziel der Vereinigung sein, Straftaten zu begehen. Das Fernziel ist gerade und unbedingt die Einhaltung der Verfassung nach Art. 20a GG sowie die Einhaltung der beschlossenen Klimaschutzgesetze.

Zudem ist ziviler Ungehorsam nicht strafbar. Dementgegen ließe sich als Zweck der Vereinigung der Letzten Generation ausmachen, Straßenblockaden zu organisieren, bei denen sich Beteiligte am Straßenkörper festkleben. Wie die jüngsten Entscheidungen und Vorgehensweisen der LG zeigt, ist nicht das Festkleben ein Ziel der LG, sondern die Einhaltung des Grund- und der Klimagesetze.
Selbst und gerade das Durchführung von Straßenblockaden ist nicht selbstverständlich strafrechtlich relevant, sondern ist durch das Recht au freie Meinungsäusserung nach dem GG geschützt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausdifferenzierte Kriterien aufgestellt. Die Mitglieder der Letzten Generation bei Gründung der Vereinigung wollen nicht vorrangig Straftaten begehen sondern die Bundesverfassung schützen und die Lebengrundlagen erhalten.

Der reformierte Normwortlaut zur Feststellung einer kriminellen Vereinigung verlangt als Ziel, Straftaten von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe im Höchstmaß zu begehen. Bagatellstraftaten werden hiernach aus dem Tatbestand ausgeschieden. Von den beabsichtigten Straftaten müsste laut BGH eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Die Gesetzgebung unterscheidet klar zwischen erheblichen Angriffen auf die Sicherheit des Staate und Bagatellen.
Als Nötigung strafbare Straßenblockaden entsprechen diesem Bild erheblicher Kriminalität nicht. Stattdessen scheint die Anwendung des Straftatbestandes gegen die Letzte Generation die Grenzen des Tatbestandes und der Verfassung zu überschreiten. Damit tritt das § 129 StGB immanente Risiko zum Einsatz gegen politisch unbequeme Proteste offen zu Tage. Die wichtigen politische Anliegen mit der Forderung, die Lebensgrundlagen aller und die der Nachgeborenen zu schützen, lassen sich nicht wegstrafen.
Im Gegenteil: Hier sind die Verfassungs- und Demokratie- Schützenden aktiv während die Regierung ihre wichtigste Aufgabe: das Schützen unser aller Lebensgrundlagen verschleppt und bis dato verweigert hat. (siehe: verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/), Diese überlebennotwendigen Anliegen müssen auf politischer Ebene behandelt und beantwortet werden.

Der Justiz ist es oft gelungen, sich trotz der Präsenz und Aufregung aufgrund der Medienaufmerksamkeit und offenen Divergenzen auf ihre Stärken zu besinnen und Verfahren wegen Blockadeaktionen gründlich, sachlich und unaufgeregt zu bearbeiten. Es obliegt nun den Justizinstitutionen, der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht, zu zeigen, dass es keine Sonderbehandlung von Klimademonstrierenden gibt und die strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Erfordernisse eingehalten werden.
Aktualisierte, ergänzte Beurteilung von S. Pschorr, Staatsanwalt und Dozent Fachbereich Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz, 2023

Wir befinden uns an einer Schwelle von grossen Veränderungen, mit und ohne unser dazutun ist das Klima im Wandel. Wie gross die Veränderungen werden, wissen wir nicht, aber wir können alles dafür tun, das Schlimmste zu verhindern oder tatenlos zuschauen.
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