Worum geht es bei § 129 StGB? 

§ 129 des Strafgesetzbuchs (StGB) stellt unter Strafe, eine Vereinigung zu gründen oder dort mitzumachen, deren Ziel es ist, Straftaten zu begehen. Den Wortlaut der Vorschrift könnt ihr hier nachlesen. Die geplanten Straftaten müssen für eine Strafbarkeit noch nicht begangen sein; eine ausreichend stabile Organisation und das Vorhaben reichen aus. Personen, die die Vereinigung gegründet haben oder ihr angehören, können mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Personen, die die Vereinigung „nur“ unterstützen, müssen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe rechnen. 

Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass der Staat versucht, Gefahren für den öffentlichen Frieden schon im Vorfeld zu unterbinden. 

1 von 8

Aber was ist denn dann so problematisch am § 129 StGB?

Da gibt es viel zu kritisieren, aber dafür muss man sich den Paragrafen und seine Folgen im Detail anschauen. Das machen wir auf diesen 8 Folien.

Bestraft wird das Organisieren, und nicht die eigentliche Straftat

Die geplanten Straftaten müssen mindestens mit einer Höchststrafe von zwei Jahren belegt sein. Es gibt nur sehr wenige Straftaten, deren Strafrahmen darunter liegt, wie zum Beispiel die Beleidigung, die mit höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird. Bereits eine einfache Nötigung gemäß § 240 StGB, die bei Straßenblockaden oft angenommen wird, kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. 

In der Folge bedeutet das, dass Vereinigungen, deren Zweck die Begehung von Taten ist, die jede für sich nur leicht bestraft würde, plötzlich viel strenger bestraft werden können. Eine Deckelung der Strafe wegen § 129 StGB auf diejenigen Strafen der geplanten Taten besteht nicht. Und wie schon gesagt, muss für die Bejahung von § 129 StGB kein Mensch tatsächlich verletzt worden sein; der Zusammenschluss und das Vorhaben reichen aus. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Vorfeldkriminalisierung. 

Im Zusammenhang mit Aktionen, die ausschließlich dem Zweck dienen, auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen, finden wir generell nicht, dass die staatliche Antwort Strafe sein sollte. Der Umstand, dass § 129 StGB noch härtere Strafen ermöglicht, ist also völlig irrsinnig. 

Auch Unterstützer*innen drohen empfindliche Strafen

Die Drohung, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt zu werden, trifft nicht nur diejenigen, die die Vereinigung gründen oder Mitglied in ihr sind, sondern auch solche, die die Vereinigung nur unterstützen. 

Unterstützen ist wiederum ein wahnsinnig breiter Begriff, der den Staatsanwaltschaften großen Interpretationsspielraum gibt. Während die Unterstützung durch die Lieferung von Waffen an Strukturen des organisierten Verbrechens zurecht kriminalisiert ist, sollte beim Einkaufen von Sekundenkleber für eine Dritte Person, die bereit ist, sich für das Klima auf eine Straße zu kleben keine Strafandrohung bis zu drei Jahren im Raum stehen. 

Was weit hergeholt klingen mag, wurde für den Zahlungsdienstleister elinor zur bitteren Realität, als bei diesem im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Letzte Generation wegen § 129 StGB über 700.000 € beschlagnahmt wurden. elinor war allerdings kein Geheiminstrument terroristischer Institutionen zur Verschleierung von dubiosen Zahlungen, sondern gab zum Beispiel Schulklassen und Vereinen die Möglichkeit Gruppenkonten zu führen, und das alles unter staatlicher Aufsicht. Der Umstand, dass auch die Letzte Generation ein Konto bei elinor unterhielt, führte dazu, dass der Dienstleister ins Visier der Behörden geriet.

Erst ein halbes Jahr nach der Beschlagnahmung stellte ein Gericht fest, dass diese Aktion rechtswidrig war. Dabei wurde weder zum Zeitpunkt der Beschlagnahmung noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung ein einziges Mitglied der Letzten Generation tatsächlich wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Und das führt uns zum nächsten, und vielleicht wichtigsten Kritikpunkt:

§ 129 StGB öffnet dem Staat Türen, die viel schwieriger zu öffnen sein sollten!

Wenn die Staatsanwaltschaft den Verdacht hat, dass eine Straftat begangen wurde, dann darf sie ermitteln. Wie jedes staatliche Handeln ist sie dabei an Recht und Gesetz und im Rahmen dessen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Das heißt, sie darf nicht beim Verdacht jeder noch so leichten Straftat alle Instrumente zur vollständigen Überwachung ausreizen. Das würde unverhältnismäßig in die Rechte des oder der Verdächtigen eingreifen.

Um genau diese Rahmenbedingung zu kontrollieren, gibt es bestimmte Straftaten, die aufgrund ihrer Schwere schneller stärkere Ermittlungsbefugnisse verleihen. Ein Beispiel für eine Liste solcher Straftaten findet sich in § 100a der Strafprozessordnung (StPO). Der Verdacht einer solchen Katalogtat ermöglicht die Überwachung der Telekommunikation des oder der Verdächtigen. Abhören beim Verdacht eines Diebstahls: Nein. Abhören beim Verdacht eines Mordes: Ja. 

So weit, so eingängig. Nun steht aber auch § 129 StGB in solchen Katalogen. Und wie bereits beschrieben, geraten Gruppen viel leichter in den Verdacht, eine kriminelle Vereinigung zu sein, als ihnen das klar ist und als es sein sollte. Die Vereinbarung, in einer hinreichend festen organisatorischen Struktur Sachbeschädigungen in Form von Graffiti zu begehen, genügt aus, um den Ermittlungsbehörden die volle Bandbreite an Ermittlungsmaßnahmen zu eröffnen. Denn die Sachbeschädigung ist eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren belegt ist. 

Nun kann man einwenden, etwa die Telekommunikationsüberwachung unterstünde ja noch dem Richtervorbehalt aus § 100e StPO. Die Ermittlungsbehörden müssen vor der Telekommunikationsüberwachung ein Gericht fragen, ob sie überwachen dürfen. Erst nach der Anordnung durch das Gericht, darf die Maßnahme durchgeführt werden. Ob dieser Mechanismus eine wirksame Kontrolle ermöglicht, ist allerdings fraglich, denn die Richter*innen erhalten ihre Informationen nur von den Staatsanwaltschaften. Aus naheliegenden Gründen werden die verdächtigen Personen vor der Maßnahme nicht gefragt, ihre Sicht der Dinge zu schildern.  

§ 129 StGB kann ein politisches Werkzeug sein

Unter anderem aus diesen Gründen kann § 129 StGB ein mächtiges Werkzeug sein, um politisch ungewollten Protest zu unterdrücken. Wie geschildert muss es dazu gar nicht zu einer Verurteilung kommen; der Schaden kann schon beim bloßen Verdacht immens sein. Selbst wenn ein Gericht im Nachhinein feststellt, dass die Ermittlungsmaßnahmen rechtswidrig waren, bleibt das Stigma der Kriminalisierung den Leuten im Kopf. Nicht nur Aktivist*innen werden abgeschreckt, sondern auch solche Menschen, die überlegen, aktiv zu werden oder nur zu unterstützen. 

Nach dem Chaos um elinor wird sich jeder Zahlungsdienstleister zweimal überlegen, ob er bereit ist, den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Nach Durchsuchungen in den Elternhäusern von Aktivist*innen, hätten zukünftige Klimaschützer*innen jedes Recht zu sagen, dass sie dieses Risiko nicht tragen wollen.

Wer teilt unsere Kritik?

Wir sind mit dieser Meinung nicht allein. Viele Menschen (mit und ohne juristische Vorbildung), NGOs und Institutionen sehen die aktuelle Ausgestaltung von § 129 StGB als höchstproblematisch bis verfassungswidrig an. 

§ 129 StGB ist zu weit gefasst und öffnet zu viele Türen, als dass er weiterhin Teil unserer Rechtsordnung sein sollte. Dabei geht es nicht darum, den Paragrafen einfach abzuschaffen und alle Strukturen, die Straftaten vorbereiten, einfach machen zu lassen.

Aber wie geht es denn anders?

Ein erster Schritt wäre es, sich am Rahmenbeschluss des Rates der EU zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu orientieren. Der sieht eigentlich vor, dass eine Strafbarkeit nur in Betracht kommt, wenn die Vereinigung handelt, um sich einen finanziellen oder materiellen Vorteil zu verschaffen und dazu Straftaten plant, die mit einer Höchstfreiheitsstrafe von mindestens vier Jahren bedroht sind. Den gesamten Rahmenbeschluss könnt ihr hier nachlesen.

Deutschland hat sich gegen eine Einschränkung über die Motivationslage entschieden und dafür schon leichtere Taten ausreichen zu lassen. Nationales Strafrecht schärfer zu fassen, als es die EU verlangt, ist nicht per se verboten. Das gilt allerdings nur so lange, wie der Gesetzgeber dabei nicht eigenes Verfassungsrecht oder menschenrechtliche Standards verletzt.

Michael Forst, UN-Sonderberichterstatter für den Schutz von Umweltschützern, erklärte dazu Ende letzten Jahres, er sei

 „zutiefst besorgt, eine derartige Erosion des zivilgesellschaftlichen Raums und Bedrohungen gegen Umweltschützer in Europa und auch in Deutschland, mitzuerleben.“

1
2
3
4
5
6
7
8